19.2.18

Herr Ballauf (hier Ende Januar in seiner Werkstatt) ist Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. Der Nevigeser Vorzeige-Einzelhändler und Handwerksmeister war weit über die Ortsgrenze der Pilgerstadt bekannt und sehr beliebt. Er hinterlässt seine Frau Margot, Kinder und Enkelkinder. Die Beerdigung findet im engsten Familienkreis statt.


Herr Ballauf ist Uhrmacher und spielt Golf in Mettmann. Die Nevigeser Plätze sind ihm zu hügelig. Herr Ballauf ist zweiundachtzig. Seine Frau Margot hat er auf dem Tennisplatz in Wülfrath kennengelernt. War erst nix mit den beiden. Aber ein Jahr später traf er sie in Bad Hönningen am Rhein wieder. Zufällig. Da hat es gefunkt. Inzwischen ist das Paar achtundfünfzig Jahre verheiratet. Wenn er Feierabend hat, fährt er mit seinem alten Mercedes zu seiner schönen Villa nach Tönisheide. Margot wartet schon. Es gibt Butterbrote mit Aufschnitt, die sie für ihn schmiert. Mittags wird warm gegessen.
Sein Großvater war Uhrmacher, sein Vater war Uhrmacher, und Herr Ballauf kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Mit vierundzwanzig war er bereits selbstständig. Der Laden liegt zwischen der Apotheke am Brunnen und dem Reisebüro. Der Apotheker ist erster Vorsitzender der Werbegemeinschaft, der Reisebüromann zweiter Vorsitzender. Er ist spezialisiert auf Amerikareisen und Dorfverschönerungen. Der Neviges-Euro war seine Idee. Herr Ballauf war früher aktiv dabei. Jetzt ist er zahlendes Mitglied.
Sein Laden hat zwei Schaufenster, die abends mit Scherengittern gesichert werden. Eine Nachtdekoration braucht er nicht. Es gibt keine teuren Uhren, die im Tresor übernachten müssten. Herr Ballauf hat gut zu tun, weil er freundlich ist und Sachen macht, die man im Internet nicht kriegen kann. Batterien wechseln, Armbänder kürzen, Uhrwerke reinigen oder alten Schmuck aufpolieren. Auf seinem Arbeitstisch im Hinterzimmer liegen die Lupe und das Werkzeug fein aufgereiht nebeneinander. Jedes Teil hat seinen Platz. Der Tisch ist höher als ein normaler Schreibtisch. Vierundneunzig Zentimeter. Ein krummer Rücken, sagt er, kommt von alleine. Da muss sich ein Uhrmacher nicht auch noch unnötig bücken. Das gerade Sitzen hat er beim Reiten gelernt. Die Werkstatt ist schöner als der Laden. Es tickt und schnurrt an den Wänden, und in dem kleinen Kästchen über dem Arbeitsplatz liegen alte Schätzchen, die als Ersatzteile vielleicht noch mal gut genug sind. Verkaufen kann man so etwas in Neviges nicht. Der Tresor ist uralt. Sieht aus wie ein Brotschrank aus Holz, ist aber aus Stahl. Ohne Hubwagen oder Kran kann das tonnenschwere Monster keinen Zentimeter bewegt werden. Knacken? Unmöglich.
Am 17. Juni 1985 wurde eingebrochen. Die Täter kamen von hinten, stemmten mit schwerem Gerät die Stahltüren auf und nahmen alles mit, was nicht im Tresor war. Die Schaufenster waren anschließend leer, das Regal mit Kundensachen auch. Und die Versicherung machte das, was sie immer macht. Erst mal nicht zahlen. Der Schaden war gewaltig. »Das Ding hätte mir fast die Existenz kaputt gemacht«, sagt Herr Ballauf. Die Kundenschmuckstücke musste er ersetzen. Die Kripo machte nix. »Der Schaden«, sagte ein Beamter zu ihm, »ist für uns nicht wichtiger als ein geklautes Marmeladenglas bei Frau Müller.« Das saß. Herr Ballauf hat das nie vergessen. Macht er Urlaub? Macht er. Seit 1966 immer in Wyk auf Föhr in der Nordsee. Reitet er noch? Nicht mehr. Wer wissen will, wann er in Rente geht, »soll den lieben Gott fragen«. (Norbert Molitor: Im Kaff der guten Hoffnung. Piper Verlag)